„Hier sind Sie immer richtig“, sagt Kyra Springer, wenn Menschen sie anrufen und nicht wissen, ob sie bei der richtigen Stelle gelandet sind. Sie ist hauptamtliche Koordinatorin des Trägervereins „akiv55plus“ und sitzt mit ihrem Büro im Haus der Begegnungen, mitten in der ersten altersfreundlichen Stadt Deutschlands, in Radevormwald.
Von ihr wollen wir, acht GRÜNE 60plus aus Hamburg, heute erfahren: Was macht die erste Age-friendly City in Deutschland altersfreundlich? Wieso gerade Radevormwald, eine 22.500-Einwohner*innen-Stadt bei Wuppertal? Und was hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) damit zu tun?
Kyra Springer (rechts) von „aktiv55plus“ und die grüne Bundestagssprecherin für Pflege- und Altenpolitik Kordula Schulz-Asche. Foto: Gabriele HeiseUm Antworten auf unsere Fragen zu bekommen, hat Kyra Springer hochkarätig ins wunderschöne, schiefergedeckte
ehemalige Pastoratshaus eingeladen: Wir treffen neben Frau Springer den Vereinsvorsitzenden und Chefarzt des örtlichen Krankenhauses, Dr. Reinhold Hikl, und die stellvertretende Vorsitzende Sabine Danowski, von der Stadtseite den Bürgermeister Johannes Mans, Vertreter*innen des Seniorenbeirats, des Bauamtes, den Leiter des Sozialamtes und städtischen Projektverantwortlichen für Age-friendly City. Mit dabei: Die grüne Bundestagsabgeordnete Kordula Schulz-Asche, zuständig für grüne Pflege- und Alterspolitik im Bundestag.
Radevormwald ist Teil des Programms der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „Age-friendly World“ bzw. Age-friendly City – und damit zum zweiten Mal Teil eines Projektes, das die WHO aufgelegt hat. Beim ersten Mal ging es um „Gesundes Altern“. Aus dieser Aktion ist später der Verein „aktiv55plus“ entstanden. Inzwischen ist der Verein eine Art lokales Netzwerk (ein bisschen wie Altonavi) mit Pflegeberatung und Hausbesuchen.
Angeschoben hat die Projekte Reinhold Hikl. Er hat sich immer schon aktiv für Ältere eingesetzt, dem Krankenhaus war ein Pflegeheim angeschlossen, es gab einen Altenkreis, und altengerechte Wohnungen. Alles finanziert vom Krankenhaus – mit kleinen Zuschüssen von der Stadt.
2015 war Hikl dann bei einer WHO Konferenz in Japan, auf der es hieß: Der Themenkomplex des gesunden Alterns sei abgehakt, das wüssten und könnten inzwischen alle Länder. Die nächste Aufgabenphase sei nun, die Grenzen in den Versorgungssystemen einzureißen, und die Systeme durchlässiger zu machen. Die USA, Japan , China, viele wichtige Länder hatten offizielle Vertreter*innen zur Konferenz geschickt, nur Deutschland war nicht dabei. Und Hikl wurde unbehaglich zumute, denn er hatte eher den Eindruck, dass man in Deutschland noch gar nicht richtig angefangen hatte, die Phase des gesunden Alterns einzuleiten. Er fing an zu recherchieren, suchte nach einem Rahmen, um gesundes Altern umzusetzen. Und stieß auf das Konzept der altersfreundlichen Städte. Und auf ein Handbuch aus Kanada mit Toolbox, mit genauen Anleitungen, um das Konzept der Altersfreundlichkeit umzusetzen.
Daran hielt er sich. Bürgermeister Johannes Mans ließ sich vom Enthusiasmus Hikls bald anstecken, ihm gefiel die Idee, Radevormwald zur ersten altersfreundlichen Stadt in Deutschland zu machen.
Aufgestellt hat die Stadt seitdem an zentralen Orten Bänke mit Armlehnen, die das Aufstehen erleichtern. Zusätzlich gibt es einzelne Hocker, die zum Ausruhen und Klönen einladen. Einfach Plätze der Begegung und gut für alle, die sich einen Caféhausbesuch nicht leisten können oder wollen und nur ein bisschen dem Treiben auf dem Marktplatz zuschauen wollen. Außerdem wurden alle wichtigen Straßenübergänge im Stadtkern barrierefrei gestaltet. Die Bürgersteige wurden ganz abgesenkt, für Rollstuhlfahrer Querrillen eingelassen, die das Bremsen am Straßenrand unterstützen. Taktile Bodenleitsysteme und eine Bordsteinkante lassen auch Sehbehinderte neben der Absenkung sicher die Straße queren.
Geschäftsinhaber freuen sich über die Maßnahmen, schließlich kaufen Ältere seltener bei Amazon und lieber persönlich im Laden. Für weiter entfernte Siedlungen gibt es einen Quartiersbus, der von Ehrenamtlichen gefahren wird.