Ich war zum ersten Mal bei einer Fraktionsklausur dabei, und fand die Themen schon im Vorfeld total spannend: China als Herausforderung für Europa, Europa zur Klimaschutzunion machen und Anschluss halten im ländlichen Raum. Die eingeladenen Expert*innen waren hochkarätig – und die Fragen und Diskussionen auch. Dort sitzt wirklich geballtes Wissen, jede*r mit seinem Fachgebiet. Aber bevor es richtig losging, sind wir erstmal geradelt und haben uns Potsdam angesehen: die russische Kolonie, das ehemalige KGB-Viertel, Schloss Cecilienhof, um dann bei ziemlich frischen Temperaturen am Ufer des Jungfernsee zu picknicken.
Los ging es dann pünktlich um 14 Uhr im großen Saal des Dorint Hotels mit unserem Verhältnis zu China: Wichtiger Partner und gleichzeitig Rivale. Starke Wachstumsraten, aber keine Freiheiten. Medien, Internet, Lehrmaterial, Unis werden zensiert. Westliche Textbücher ganz aussortiert.
Bürger*innen haben bereits in 43 Pilotprojekten ein Punktekonto (Social Credit), das die Moral der Gesellschaft anheben soll. Wer schlecht abschneidet, hat keinen Zugang zu guten Schulen, darf nicht reisen, das Internet wird gedrosselt etc. Das System soll auf das ganze Land ausgeweitet werden – und auch andere Länder sollen schon Interesse daran bekundet haben.
Über Klimaschutz wird viel geredet, gehandelt aber nur, wenn es passt. Beim Projekt Seidenstraße geht es nicht nur um den Ausbau von Häfen oder Straßen, sondern die eigene Industriepolitik würde nach außen getragen. Inzwischen fordert sogar die deutsche Industrie einen härteren Kurs gegen China und Toni Hofreiter wünscht sich, dass wir endlich begreifen, dass China sich nicht an demokratische Regeln hält, da würden auch keine weiteren Abkommen helfen.
Für Annalena Baerbock ist klar, dass wir im Umgang mit China so schwimmen, weil wir keine Umgangs-Standards für Europa haben. Wir müssten gemeinsam klären: Wann ist Schluss? Das Wort Hightech-Faschismus fällt und Katrin Göring-Eckhard stellt am Ende der Debatte fest, dass selten alle so konzentriert waren wie bei dieser Diskussion.
Abends ging es zum Spargelessen mit Journalist*innen. Wer neben wem sitzt, wird übrigens immer ausgelost. Mein Tischnachbar ist Jürgen Trittin, wir haben intensive Gespräche über China und die Altersbilder der Grünen.
Am 2. Tag werden drei wichtige Anträge verabschiedet:
- Vielfalt der Natur retten
- Europa zur Klimaschutzunion machen
- Die grüne Wohngarantie
Wir erleben ein sechstes Artensterben, heißt es im ersten Antrag, über die Hälfte aller Feldvögel in Europa sind in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden, insgesamt 420 Millionen Vögel. Besonders Allerweltsarten wie Sperling, Schwalben, Star und Kuckuck sind betroffen. Wir brauchen deshalb dringend ein Sofortprogramm zur Rettung der Natur in Europa.
Die demonstrierenden Schülerinnen und Schüler zeigen jeden Freitag eindringlich, geht es im zweiten Antrag weiter, dass es jetzt Zeit ist, entschlossen gegen die Klimakrise zu handeln. Europa hat als reicher Kontinent die Pflicht und alle Möglichkeiten dazu. Deutschland kommt dabei eine bedeutende Rolle zu und die schwarz-rote Bundesregierung muss endlich die Blockadehaltung gegen alle ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen aufgeben und entschlossen mit den europäischen Partnern agieren. Zeit zu verlieren haben wir keine mehr. Deshalb muss Europa zur Klimaschutz-Union werden!
Im dritten Antrag wird erstmal festgestellt, dass wir im Markt nicht zuwenig Luxuswohnungen haben, sondern einen Mangel an dauerhaft bezahlbarem Wohnraum. Darum fordern die Grünen ein Förderprogramm „Neue Wohngemeinnützigkeit“ (NWG). Egal ob junge Familie, Feuerwehrleute oder Polizisten, Studierende oder Rentner, für alle heißt es: Miete frisst Einkommen auf. Deshalb wurde in Potsdam „Die Grüne Wohngarantie“ beschlossen.
Zum Schluss ging es dann noch ums Leben im ländlichen Raum – was ja die meisten Menschen in Deutschland tun. Wir haben das allerdings oft gar nicht im Kopf, da Journalist*innen, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und andere Meinungsbildner*innen meist in Großstädten leben und den urbanen Blick auf Gesellschaft haben. Kein Wunder, dass es bisher viel zu wenig Forschung in dem Bereich gibt – obwohl viele kreative Landbewohner*innen tolle Projekte auf die Beine stellen. Oft kommt leider die Idee nicht zum Geld und umgekehrt. Schön wäre, wenn man die vielen Ideen zentral sammeln würde, so dass es zum Transfer von einem Ort zum anderen kommen könnte. Es muss das Rad ja nicht jedes Mal neu erfunden werden.
Mir schwirrt noch der Kopf von den vielen guten Vorträgen, Beiträgen und grünen Ideen.