Wow, es war einfach überwältigend: Für unsere Veranstaltung „Gut leben im Alter – mit neuen Quartierskonzepten“ hatten die Grünen 60plus einen Raum für 80 Leute gebucht. Der war zehn Minuten vor Veranstaltungsbeginn rappeldicke voll. Und draußen stand immer noch eine lange Schlange vor dem Eingang zum Campus Uhlenhorst*!
Eigentlich hätte ich die Veranstaltung natürlich total gern in Wandsbek gemacht. Aber alle größeren, stadtnahen Räume, die wir anfragten, waren 2 Monate vor dem Termin ausgebucht!
Also gingen wir auf die Uhlenhorst, und fanden dort einen wunderbaren Raum, der zum Glück erweitert werden konnte. 130 Gäste waren schließlich da! In der Elbvertiefung war die Veranstaltung angekündigt und Tide Radio nahm alles auf.
Neue Quartierskonzepte auch für Ältere scheint sehr viele Menschen zu interessieren. Schließlich wollen alle in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben. Wir haben deshalb nach neuen Ansätzen im Quartier gesucht – und sie auch gefunden. Wie zum Beispiel den ambulanten Pflegedienst Buurtzorg (sprich: Bürtsorg), deren Gründer zu Beginn ihrer Arbeit sagten: Alles, was wir tun, ist komplett falsch – und dann das System völlig umgekrempelt haben. Aber davon später mehr.
Der Abend begann mit einem Vortrag von Mathilde Hackmann, Studiengruppenleiterin an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit&Diakonie. Sie erklärte, warum das Quartier gerade für ältere Menschen so wichtig sei und dass wir unseren Blickwinkel ändern müssen: Weg vom alleinigen Blick auf Ältere als Umsorgte, hin zur Sichtweise als Sorgeleistende. Denn jeder Mensch hat das Bedürfnis für andere eine Bedeutung zu haben. Im siebten Altenbericht** der Bundesregierung werden die Kommunen deshalb aufgefordert, Aufgaben der Pflegekassen zu übernehmen. Das wäre doch auch ein interessanter Ansatz für uns!
Selbstständigkeit fördern will auch die neue Initiative Sozialraumorientierung QplusAlter***. Sogenannte Quartiers-Llots*innen sollen ältere Menschen unterstützen, zurechtzukommen, auch im höheren Alter. Sie sollen Hilfe zur Selbsthilfe geben, besprechen, wen man ansprechen kann – aber z.B. nicht selber die kaputte Glühbirne auswechseln.
Beklagt wurde während der Diskussion, dass es zwar offenbar bereits Quartierskonzepte in einigen Stadtteilen gäbe, aber die Menschen vor Ort viel zu wenig darüber wüssten. Das hören wir auch in Wandsbek immer wieder.
In Altona ist das Problem schon ganz gut gelöst, dort wurde altonavi gegründet, das Infozentrum und Freiwilligenagentur zugleich ist. Alle Aktivitäten werden dort gebündelt und können in einem Ladenlokal mitten im Quartier nachgefragt werden, ganz einfach, ohne Anmeldung. Das wird auch von vielen älteren Menschen mit Migrationshintergrund wahrgenommen.
Unsere grüne Seniorensprecherin in der Hamburger Bürgerschaft, Christiane Blömeke ergänzte und erzählte u.a. von LeNa, einer Abkürzung für lebendige Nachbarschaft. Das Modellprojekt der SAGA gibt es bisher in Steilshoop, Horn und Barmbek und will selbstbestimmtes Wohnen in der eigenen Mietwohnung gewährleisten. Zentrale Anlaufstellen sind ein Nachbarschaftstreff, ein Nachbarschaftsbüro und ein Quartiersbüro. AniTa eine online-Plattform, macht den Austausch zwischen pflegenden Angehörigen möglich. Knapp 30% aller erwachsenen Kinder wohnen mehr als 100 Kilometer von ihren Eltern entfernt und könnten sich nicht regelmäßig kümmern. Pflegestützpunkte unterstützen in allen Fragen rund um das Thema Pflege – unabhängig von der Kassenzugehörigkeit oder dem Bezug von Sozialleistungen. Mehrgenerationenhäuser sind Treffpunkte für Jung und Alt im Stadtteil. Besuchspatenschaften werden u.a. von Freunde alter Menschen angeboten. Kulturisten-hoch2 lädt Seniorinnen und Senioren mit kleiner Rente ein, regelmäßig und kostenlos, gemeinsam mit einem jungen Menschen aus dem gleichen Stadtteil, die kulturelle Vielfalt Hamburgs zu nutzen. Der Verein Wege aus der Einsamkeit bietet gratis digitale Seminare speziell für Menschen 65plus an. Und organisiert in Hamburg mit anderen Gruppen (die GRÜNEN 60plus sind auch dabei) den Weltseniorentag am 1. Oktober in einem coolen Club.
Dieser Teil war schon höchst spannend und trotz Enge und Wärme waren alle voll dabei. Das Highlight des Abends kam dann natürlich mit Johannes Technau von Buurtzorg: ein ambulanter Pflegedienst aus den Niederlanden, der übersetzt Nachbarschaftshilfe bedeutet und gerade weltweit den Pflegemarkt umkrempelt. Auch in Deutschland gibt es inzwischen vier Pilotprojekte.
„Der Unterschied zum herkömmlichen System ist die Abkehr vom Abarbeiten vorgegebener Pflegestandards, alle Hilfe ist ausgerichtet am autonomen Leben, das ist das Ziel“, sagt Johannes Technau. „Der große Unterschied in der Organisation sind die hierarchiefreien Teams, die gemeinsam für gute Pflege verantwortlich sind. Für uns Deutsche ist das nicht einfach, in den Niederlanden gibt es generell weniger Hierarchien als hier.“
Bei uns kommt das Geld vor allem von den klammen Pflegekassen, die für Pflegeleistungen der Versicherten – je nach Pflegegrad – aufkommen. Um Geld zu verdienen, muss man also möglichst viele Leistungen in möglichst kurzer Zeit erbringen, so Technau. Deshalb sparen viele Pflegedienste bei den Personalkosten. Mit dem Ergebnis, dass Pfleger*innen und Gepflegte gleichermaßen frustriert sind. Das ist beim Non-Profit-Pflegedienst Buurtzorg anders. Und unter dem Strich auch nicht teurer, da die Honorare für die Profis zwar höher sind, die Patient*innen aber zu mehr Selbstständigkeit angeregt werden. Also mehr selber machen können.
Und dickes Plus: In den Niederlanden waren bei 10.000 Pflegekräften nur 50 Mitarbeiter*innen in der Verwaltung notwendig für Miete, Verträge, Lohnbuchhaltung (siehe Bild links, das Verhältnis zwischen Pflegekräften=grün und Verwaltung=gelb). Das meiste organisieren die Teams selbst. Maximal 12 Pflegekräfte sind in einem Team organisiert in einem begrenzten Umfeld. Vorbild war die Gemeindeschwester, die es früher auch bei uns gab. Bei Konflikten helfen Teambegleiter, aber nur im Notfall. In der Regel kriegen die Teams alles allein hin.
Inzwischen hat Buurtzorg in den Niederlanden 14.000 Mitglieder und Modellprojekte überall auf der Welt. So einfach kann es also sein!
Nach der Diskussion ging es weiter mit kleinen Gesprächen beim Come together mit Wein, Saft oder Wasser und Knabberzeug. Viele Gäste hatten sich in Listen eingetragen, um eine schriftliche Zusammenfassung der Veranstaltung und Adressen zu bekommen. Alle Grünen 60plus gingen am Ende beseelt nach Hause. Ein Ansatz für grüne Pflege, der sich hoffentlich bald durchsetzen wird!