Aufrüttelnde Antworten auf diese Frage gab es von Konstantin von Notz, der uns am Mittwochabend in Wandsbek besucht hat. Konstantin ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag und innenpolitischer Sprecher mit dem Arbeitsschwerpunkt Datenschutz, der in seinen Augen dringend einer Modernisierung bedarf. Als Koordinator des Arbeitskreises III der grünen Bundestagsfraktion verantwortet Konstantin außerdem federführend unter anderem die Themenbereiche der Rechts- und Justizpolitik.
Das Sicherheits-Thema stieß auf jeden Fall auf großes Interesse in Wandsbek, etwa 40 Besucher*innen sind der Einladung des Wandsbeker Kreisvorstands gefolgt.
Da Konstantin seit 25 Jahren Mitglied der Grünen ist, hat er selbst erleben können, wie Netzpolitik vom Nischenthema zu einem Thema mit extrem hoher Relevanz wurde. Als Wendepunkt in der öffentlichen Beachtung nennt er die Enthüllungen von Edward Snowdon – auf den Punkt gebracht sei das im ARD-Sommerinterview mit Angela Merkel, das für sie ein besonders unangenehmes Interview war und dass man auf you tube noch finden könne.
Seit der Verwendung von Glasfaserkabeln, könnten Nachrichtendienste Emails, Filme, Finanzbankdatenströme in unglaublicher Menge einfach abschnorcheln. Was sie auch täten. Snowdon hätte damals den Vorhang beiseite gezogen. Damit wurde z.B. Unternehmen klar, dass es keine Betriebsgeheimnisse mehr gäbe.
Die Grünen sehen den Staat in der Pflicht, er hätte eine Schutzverantwortung, müsse aktiv eintreten. Bisher hätten grüne Sicherheitsforderungen jedoch kein Gehör gefunden.
2010 hätte sich die Regierung bei der Einführung des E-Postbriefs entscheiden können: soll es generell eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geben? Rechtsanwälte, Notare, Ärzte waren dafür, aber die Bundesregierung wollte die Verschlüsselung nicht. Der Post war es zu teuer, und Sicherheitsbehörden hätten nicht mehr mitlesen können.
Konstantin geht davon aus, dass das die schlimmste Fehlentscheidung war, das Verschlüsselungskonzept wäre sonst wohl ein Erfolgsmodell geworden, weltweit.
Dazu kam es aber nicht, und so haben wir immer noch Probleme z.B. mit der Gesundheitskarte – und haben inzwischen sogar einen Handel mit Sicherheitslücken! Auf dem Schwarzmarkt würden diese Lücken aufgekauft, um Leute zu überwachen und nicht um die Lücken zu schließen, daran sei niemand interessiert. Und das sei Wahnsinn: Um eine Handvoll Firmen oder Leute zu überwachen würden 80 Millionen ohne Sicherheit zurückgelassen. Bei der Stromversorgung, auf Finanzmärkten, Smart Home oder Haushaltsgeräten. In 5 Jahren hinge vermutlich unser Kühlschrank am Netz, so dass wir beim Einkaufen direkt checken könnten, was fehlt. Oder gleich nach dem Job von unterwegs bestellen könnten und REWE liefere ins Haus.
Daten seien für Unternehmen heute das Rohöl von früher. Deshalb bräuchten wir unbedingt Transparenz, das dürfe kein „nerdiges“ Thema mehr sein. Z.B. müsse man wissen: welche Rooter sind wirklich sicher? Es gäbe aber keinerlei Gütesiegel, keinen Wettbewerb diesbezüglich. Wir bräuchten eine funktionierende Grundverordnung.
Die Behauptung: „Die Leute sind selbst Schuld, wenn sie bei Facebook sind“, sei falsch. Es gibt Unternehmen, die bei Einstellungen sagten: „Wenn ich den Bewerber nicht auf Facebook finde, stelle ich ihn nicht ein. Ich brauche Leute, die sich präsentieren können.“ Und die Nicht-Mitgliedschaft bei Facebook sei letztendlich auch eine Information über einen Menschen.
Künstliche Intelligenz (KI) würde bei Bewerbungen längst eingesetzt.
In Berlin fand man es aus all diesen Gründen völlig unverständlich, dass Robert Habeck aus Twitter und Facebook ausgestiegen sei. Außerhalb Berlins würde man das durchaus differenzierter sehen.
Aber klar ist: Konstantin würde selbst niemanden einstellen, der kein Smartphone habe und einen pünktlichen Feierabend um 17 Uhr wolle. Das passe einfach nicht zu seinem politischen Arbeitsfeld.
Und er ist überzeugt, dass Digitalisierung unsere Gesellschaft mehr verändern werde als die Industrialisierung. Entscheidend sei dabei, dass wir es schaffen, den Rechtsstaat mitzunehmen. Es gäbe inzwischen genügend Alternativmodelle zur Demokratie. In China z.B. sei man zwar unfrei, aber satt. Das sei ein entscheidendes Argument. Hinzu käme, dass Rechtstendenzen aktuell ja relativ en vogue seien.
Eine Frage sei deshalb: Wie gehen wir mit Staaten, wie Saudi Arabien, China, Russland um? In Konstantins Augen geht es allein um Werte – und die hingen nicht mit der Größe eines Landes zusammen. „Wir haben uns unsere individuelle Freiheit kaputt quatschen lassen.“ Das sollten wir nicht länger hinnehmen.
China erprobt längst ein Social Scoring System. D.h. mit Gesichtserkennung, Mobiltelefonüberwachung, Scannen von Bewegungsabläufen wisse man genau, wer gerade was wann wo mache. Die Trefferquote sei enorm. Dieses System wird zur Zeit in Testgebieten erprobt und soll dann ausgeweitet werden. Dann könne man Menschen, die z.B. älteren Damen über die Straße helfen, aufmerksam dem Unterricht folgen, nicht auf die Straße spucken, früh ins Bett gehen, um am nächsten Morgen ausgeschlafen zu sein, keine Widerworte ihrem Arbeitgeber gegenüber haben und ihre Eltern regelmäßig besuchen mehr soziale Punkte geben als anderen. Damit verbunden könnte dann sein, dass man einen besseren Job bekommt oder eine größere Wohnung etc. China-Korrespondent Kai Strittmatter hat mehrfach darüber berichtet. Orwell lässt grüßen!
Deshalb müssten wir Grünen jetzt für Freiheit und Werte kämpfen. Er diskutiere oft mit Grünen, für die der Klimawandel das entscheidende Thema zur Zeit ist. „Wenn wir aber den Kampf um unsere Werte verlieren, können wir nicht mal mehr auf die Straße gehen, um gegen den Klimawandel zu protestieren!“
Eine Frage sei z.B. ob wir chinesische Firmen beim Ausbau des neuen Mobilfunknetzes 5G zulassen sollten.
Und wir müssten auf den Datenschutz achten. Das häufigste Passwort in Deutschland sei z.B. 1234. Es könne nicht sein, dass Unternehmen solche Passwörter akzeptierten. Der Staat hätte die Verantwortung dafür, dass Regeln eingehalten würden. Kosten seien kein Argument. Ein Airbag sei auch teuer, trotzdem müssen Hersteller ihn verpflichtend einbauen. Das Regelungsbedürfnis des Staates fehle aber im digitalen Bereich, das müsse sich ändern.
Wir hätten längst eine digitale Kriegsführung. Bevor es zu großen digitalen Kriegen käme, müssten wir viel besser aufgestellt sein. Wir bauen coole Maschinen, die weltweit gekauft würden, weil sie zwar nicht die günstigsten, aber einfach gut seien. Das müssten wir auch bei der Digitalisierung erreichen. Für guten Datenschutz gäbe es einen guten Markt. Heute müsse man keine Bomben mehr auf ein E-Werk abwerfen, man könne es hacken.
Guter Vortrag, spannende Diskussion, viele Denkanstöße, souveräne Gesprächsleitung von Rainder Steenblock, leckeres Catering von Eckhard Heumeyer mit Obst, Kaffee und Keksen. Sehr gute Veranstaltung!